Die Polarität der Symptome

Die Polarität der Symptome und was es mit den Wertigkeiten auf sich hat

Das Problem tritt häufig auf: Man sucht ein Mittel, das ein bestimmtes Symptom aufweist (z.B. durstlos, Verstopfung, amel. Bewegung, agg. Kälte) und ist sehr erstaunt, es auch in einer gegenpolaren Rubrik zu finden (in den aufgeführten Beispielen unter Durst, Durchfall, agg. Bewegung, amel. Kälte). An sich ist das nicht weiter verwunderlich. Ein Mittel, das einen Bezug zu Durst, Darmbewegung, Bewegung, Kälte hat, wird seinen Einfluß bei unterschiedlichen Prüfern entsprechend ihrer Ausgangslage auch unterschiedlich zeigen. Beide Pole des Symptoms gehören zur Arznei. Jede gut geprüfte Arznei bestätigt uns das. Je besser ein Mittel geprüft ist, um so sicherer finden wir beide Pole eines Symptoms in der Prüfung, wobei die Wertigkeiten meist unterschiedlich sind.

Hier einige Beispiele, die die meisten kennen:

Opium: Verstopfung (4-wertig) und Durchfall (2-wertig)
Rhus-t: Besserung durch Bewegung (4-wertig) und Verschlechterung durch Bewegung (1-wertig)
Puls: Durst (2-wertig) und Durstlosigkeit (4-wertig)

Für die Arzneiwahl erhebt sich dann z.B. die Frage, ob Pulsatilla einem durstigen Patienten helfen könnte – oder Opium einem Patienten mit Durchfall.

Es reicht nicht, wenn ein Mittel alle Symptome abdeckt

Wir haben repertorisiert und die Symptom des Patienten werden durch einige Mittel abgedeckt. Wie können wir die Arzneiwahl weiter eingrenzen? Welche Arznei kann dem Patienten wirklich helfen? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft uns die Analyse der Polariäten der Symptome des Patienten weiter.

Ein Mittel mag alle Symptome abdecken und doch unähnlich sein. Entscheidend ist, dass sich die charakteristischen Sympome des Patienten mit den charakteristischen Symptomen der Arznei decken.

Bönninghausen und die Polariäten

Bönninghausen hat sich sehr verdient darum gemacht, die charakteristischen Symptome der Arzneien in seinem Repertorium, dem Therapeutischen Taschenbuch, herauszuarbeiten. Die Analyse der Polariäten kann man mit seinem Repertorium am sichersten durchführen, grundsätzlich ist es aber mit jedem Repertorium möglich, das die charakteristischen Symptome der Arzneien beinhaltet.

Bönninghausen unterscheidet 5 Wertigkeitsgrade, faßt aber die beiden höchsten zusammen, so dass 4 verbleiben. Die Wertigkeit zeigt an, ob sich ein Symptome nur in der Toxikologie oder auch in Prüfungen gezeigt hat und ob es auch in der Praxis bestätigt werden konnte. Die Bandbreite der Wertigkeiten hängt vom eingesetzten Repertorium ab. 1-wertig bedeutet: zweifelhaftes Mittel, Symptom hat sich nur in Vergiftungen/Toxikologie/Phytotherapie gezeigt, 2-wertig bedeutet, dass sich das Symptom in Prüfungen gezeigt hat, in der Klinik aber nicht bestätigt werden konnte. 3-wertig heißt, dass das Symptom sich in der Klinik verifizieren ließ, 4-wertig heißt, dass das Symptom häufig bis sehr häufig geheilt werden konnte.

Kontraindikationen

Gibt es eine gegenpolare Rubrik zu einem charakteristischen Symptom und ist das zu beurteilende Mittel in der gegenpolaren Rubrik höherwertiger (ab 3 aufwärts) vertreten  als beim Patientensymptom, wo es nur eine Wertigkeit von 1 oder 2 aufweist, ist das nach Bönninghausen eine Kontraindikation für das betreffende Mittel.

Bleiben wir bei dem Pulsatilla-Beispiel: Der Patient hat Durst, den puls 2-wertig vorweist. Durstlosigkeit ist charkteristisch für Pulsatilla und puls ist in der entsprechenden Rubrik 4-wertig vertreten. Dann ist das bei diesem Patienten eine Gegenanzeige (Kontraindikation) für Pulsatilla, eine Heilung ist durch das Mittel nicht zu erwarten.

Ein andere Beispiel: Der Patient zeigt deutliche Besserung aller Symptome durch Ruhe. Kann rhus-t. ihm helfen? Charakteristisch für Rhus-toxicodendron ist die Verschlechterung in Ruhe. Rhus-t. hat Besserung durch Ruhe 1-wertig, die gegenpolare Rubrik (Verschlechterung durch Ruhe) weist rhus-t. 4-wertig aus. Rhus-t. wird diesem Patienten nicht helfen können.

Das Aussortieren der Mittel nach Kontraindikationen funktioniert ausschließlich mit den charakteristischen Symptomen einer Arznei, die wie ein roter Faden durch das Arzneibild gehen!

Der Polaritätsgradient

Bei dieser Polaritätsanalyse bezieht man alle Symptome mit ein, zu denen es eine gegenpolare Rubrik gibt. Man bildet die Quersumme der Wertigkeiten der gegenpolaren Rubriken und zieht sie von der Quersumme der Wertigkeiten der polaren Rubriken ab, mit denen man die Repertorisation durchgeführt hat. Die Differenz wird als Polaritätsgradient bezeichnet. Im besten Fall gibt es gar keine gegenpolaren Rubriken und das Ergebnis entspricht der Summe der Wertigkeiten der Patientensymptome. Im ungünstigsten Fall gibt es viele höherwertige gegenpolare Rubriken und das Ergebnis ist eine Zahl mit negativem Vorzeichen. Dazwischen sind viele Varianten möglich.

Beispiel:

Mittel 1: Quersumme der Wertigkeiten der polaren Rubriken = 13, Quersumme der gegenpolaren Rubriken = 5, Polaritätsgradient = 8
Mittel 2: Quersumme der Wertigkeiten der polaren Rubriken = 8, Quersumme der gegenpolaren Rubriken = 9, Polaritätsgradient = -1
Mittel 3: Quersumme der Wertigkeiten der poalren Rubriken = 12, Quersumme der gegenpolaren Rubriken = 14, Polaritätsgradient = -2

Je höher der Wert des Polaritätsgradienten, um so eher deckt das Mittel die Patientensymptome ab. Bei negativem Vorzeichen kann man nicht davon ausgehen, dass das Mittel dem Patienten helfen kann. In diesem Beispiel schneidet Mittel 1 am besten ab, Mittel 3 am schlechtesten.