Wie der Hund Appetitlosigkeit lernt

Erlernte Anorexie beim Hund

Anorexie oder Inappetenz ist der medizinische Fachbegriff für Appetitlosigkeit. Viele werden sich fragen, wie es denn möglich sein soll, Appetitlosigkeit zu lernen. Bei Hunden treffen wir gar nicht so selten auf dieses Phänomen.

Ursachen und Folgen von Anorexie

Eine Appetitlosigkeit kann vorübergehend im Rahmen von Unpäßlichkeit oder Krankheit vorkommen, sie kann Stressfolge oder Zeichen schwerer Erkrankung sein, sie kann aber auch erlernt oder zumindest durch Lernprozesse verstärkt worden sein.  Klinische Untersuchung und Fütterungsanamnese bringen Klarheit, ob überhaupt eine wirkliche Inappetenz vorliegt, was dahinter steckt und ob die Anorexie erlernt ist oder durch Lernen verstärkt wurde.

Eine lang anhaltende Appetitlosigkeit führt jedenfalls zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme. Ist die Ursache der Appetitlosigkeit eine Krankheit, die gleichzeitig auch den Nährstoffbedarf erhöht (z.B. Krebs oder Niereninsuffizienz) verschärft das die Situation. Nach 3 Tagen ohne Nahrungsaufnahme läßt das Hungergefühl nach, was die Appetitlosigkeit natürlich weiter begünstigt. Es kommt zum Nährstoffmangel, zum Abbau von Körpergeweben, zu Abmagerung und schlimmstenfalls zu Funktionsausfällen der Organe.

Scheinbare oder tatsächliche Anorexie

Bei einer scheinbaren Inappetenz sind die Tiere normal- bis übergewichtig und die zu geringe Nahrungsaufnahme besteht nur in den Augen des Besitzers, der den Bedarf ihres Hundes zu hoch einschätzet bzw. die Leckerchen und Belohnungen nicht berücksichtigt oder  Fütterungsempfehlungen der Hersteller unreflektiert übernimmt. Bei kleinen Hunden treffen wir diesen Fall häufig an.
Die tatsächliche Inappetenz erkennt man am Untergewicht des Tieres, am schlechten Ernährungszustand, an Gewichtsabnahme. Die Energiebilanz ist negativ, die Futteraufnahme deckt den Bedarf nicht.
Ob tatsächlich eine Appetitlosigkeit mit unzureichender Nahrungsaufnahme vorliegt oder ob Bedarf und/oder Futterangebot falsch eingeschätzt werden und der Hund einfach nicht mehr braucht, ist in jedem einzelnen Fall zu überprüfen.

Appetit und Hunger sind nicht dasselbe

Appetit und Hungergefühl entstehen in unterschiedlichen Hirnarealen und sind unabhängig voneinander. Deswegen kann man Hunger haben ohne Appetit auf irgendetwas – oder Appetit auf etwas Bestimmtes haben ohne hungrig zu sein.

Hunger ist ein schmerzhaftes Gefühl, das durch Kontraktionen des Magens und durch Absinken des Glukosespiegels im Blut und andere durch Nährstoffmangel ausgelöste Stoffwechselveränderungen entsteht. Es entsteht ein Verlangen nach Nahrung, nach Sättigung – egal durch welche Nahrungsmittel.
Appetit ist das Ergebnis einer sehr individuellen Wahrnehmung von Geruch, Geschmack, Temperatur und Konsistenz eines Nahrungsmittels und wird auch durch ganz andere Sinneswahrnehmungen (die mit der Nahrung direkt nichts zu tun haben müssen), beeinflußt. Da das so ist, kann sowohl Appetitlosigkeit als auch ungezügelter Appetit erlernt werden. Appetit auf bestimmte Nahrungs-/Futtermittel soll auch auf spezielle Nährstoffbedürfnisse hinweisen.

Großer Appetit führt dazu, dass über die Sättigung hinaus Nahrung aufgenommen wird, was dann letztlich zu Übergewicht führt. Appetitlosigkeit führt dazu, dass die Nahrung trotz Hunger nicht aufgenommen wird. Angst und Stress, eine ungewohnte Umgebung, eine neuer Fressplatz, eine ungewohnte Konsistenz, ein ungewohnter Geruch oder auch Anosmie (nicht riechen können) können dazu führen, dass trotz Hunger nicht gefressen wird.

Fressverhalten wird erlernt

Guter oder wählerischer Fresser, Schlinger oder langsamer Fresser – bisheriger Erfahrungen rund um die Futteraufnahme bestimmen das Fressverhalten.
Große Würfe, Mütter mit wenig Milch, kein eigener Fressplatz, Konkurrenz beim Fressen führt in aller Regel zu aggressivem Fressverhalten und schnellem Herunterschlingen des Futters.
Auch schlechte Fresser können ihr Fressverhalten erlernt haben. Unsichere und unterlegene Kandidaten, die sich gegen die Konkurrenz nicht behaupten konnten, reagieren auf geringste Störung. Sie scannen ununterbrochen die Umgebung und reagieren auf geringste Außenreize indem sie das Fressen abbrechen und zurückweichen. Aber auch zuviel Aufmerksamkeit seitens des Besitzers kann einen Hund zum schlechten bzw. noch schlechteren Fresser machen.

So wird Anorexie erlernt

Da die Appetitlosigkeit für den Besitzer sehr belastend ist, wird mit allen Tricks versucht, den Hund zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. Es werden andere Futtermittel ausprobiert, es wird eine Konkurrenzsituation geschaffen, der Besitzer setzt sich daneben, streichelt oder füttert sogar von Hand. Es wird der Futterplatz gewechselt, statt in der Küche in anderen Räumen oder sogar draussen oder im Auto gefüttert. Je schlechter das alles funktioniert (und genau das wird es auf Dauer immer tun), um so belastender wird die Fütterungssituation mit der Zeit – Streß pur für Hund und Herrchen.  Der Stress vermindert den Appetit weiter, was die Bemühungen des Besitzers verstärkt. Es entsteht ein Teufelskreis. Und das zunächst einmal vollkommen unabhängig davon, wodurch die Apptetilosigkeit ursprünglich ausgelöst wurde. Verknüpft der Hund dann irgendwann das Nicht-Fressen mit Aufmerksamkeit und Zuwendung des Besitzers, wird er immer wieder zögerlich fressen auch wenn die ursprüngliche Ursche für die Appetitlosigkeit gar nicht mehr besteht, die auslösende Krankheit oder Situation längst überwunden ist.

Von der nervöse Appetitlosigkeit zur erlernten Anorexie

Stress wirkt nicht nur als Verstärker einer Anorexie, er kann sie auch auslösen. Der Magen ist ein empfindliches Organ. Bei sehr sensiblen Hunden kann es durch die Erregung des Sympathikus (auch ohne Krankheit oder belastende Fütterungssituation) zu einer gesteigerten Sekretion und Motilität im Magen-Darm-Bereich kommen. Die Hunde erbrechen oft Magensaft (keine Galle, wie oft fälschlicherweise vom Besitzer angenommen wird) – mit oder ohne vorherigem Grasfressen. Auch Durchfall kann vorkommen – mit oder ohne Erbrechen von Magensaft. Die Hunde fressen schlecht und lassen auch schon einmal eine oder mehrere Mahlzeiten ausfallen.

Auch eine mangelhafte Produktion von Magensaft und eine Hypomotalität kann durch Stress ausgelöst werden und Appetitlosigkeit, Erbrechen und Verdauungsstörungen zur Folge haben.

Ein ängstlicher Besitzer kann hier durch entsprechendes Verhalten seinerseits (s.o.) aus einer geringfügigen Anorexie eine ausgeprägte erlernte Anorexie machen. In entsprechender Weise funktioniert das auch bei jeder krankheitsbedingten Anorexie. Das durchaus begründete aber leider oft übertrieben Betreben die Futteraufnahme zu steigern, hat leicht den gegenteiligen Effekt.

Fütterungsempfehlungen bei Anorexie

Gesunde Hunde können lange ohne Nahrungsaufnahme auskommen.  Bei schwerkranken Tieren ist u.U. eine Zwangsfütterung in Betracht zu ziehen, eventuell auch Sonden- oder parenterale Ernährung. Was in einem Fall übertrieben ist, ist in anderem Fall lebenserhaltend. Einen stressgeplagten und normalgewichtigen appetitlosen Hund von Hand zu füttern ist unsinnig und kontraproduktiv. Einen krebskranken und untergewichtigen Hund nicht von Hand zu füttern, wenn er nur noch so sein Futter aufnimmt, wäre ebenso falsch.  Grundätzlich gilt, dass man aus der Fütterung keinen Staatsakt machen sollte. Nicht-Fressen sollte nicht besonders belohnt werden!

  • Gesundheitszustand und Haltungsbedingungen, Fütterungsroutine überprüfen und wenn möglich behandeln/korrigieren
  • Auswahl eines energiereichen, hochverdaulichen Futters (geringer Rohfaseranteil), dadurch kann die Futtermenge zur Deckung des Energiebedarfs reduziert werden,
  • frisches und schmackhaftes Futter anbieten (Fleisch- und Fettanteil erhöhen) bzw. durch Anfeuchten und Erwärmen die Schmackhaftigkeit erhöhen.
  • Tagesration auf mehrere kleine Portionen verteilen und nicht Aufgefressenes nach 10 Minuten entfernen.
  • Feste Fütterungszeiten einhalten, jeden Stress bei der Fütterung vermeiden, Schmerzbekämpfung wenn erforderlich

Sowohl die Quantität als auch der Salzsäuregehalt des Magensaftes (nüchtern und nach Mahlzeit) sind stressabhängig sehr variabel. Ob ein Zuviel oder Zuwenig vorliegt ist nicht immer einfach zu unterscheiden, ist aber für die zu ergreifenden Fütterungsmaßnahmen wichtig. Bei stressbedingten Magenproblemen mit Anorexie sind die o.a. Empfehlungen abzuwandeln: Bei übermäßiger Sekretion von Magensaft und Hyperazidität sind Futtermittel zu meiden, die die Magensaftsekretion noch weiter ankurbeln (z.B. Fleisch und Brühe).   Bei mangelhafter Magensaftproduktion und Hypoazidität ist durch den Salzsäuremangel ist die Proteinverdauung eingeschränkt. Das betrifft in erster Linie das Fleisch wegen seines hohen Bindegewebanteils. Der erhöhte pH führt außerdem zu einer vorschnellen Magenentleerung. Fleisch sollte durch andere hochwertige Proteinquellen wie Milchprodukte, Eier und Geflügel (weil bindegewebsarm) ersetzt werden ersetzen. Rohes Fleisch ist leichter verdaulich als gegartes.

Natürlich können durch Erkrankungen immer auch weitere abweichende Ernährungsmaßnahmen nötig werden.