Repertorisieren – Schritt für Schritt erklärt (2)

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 3 in der Serie Repertorisieren

Wertigkeiten, Causa, Pathologien, Rubrikengröße, Polaritäten und Detaillsymptome und ihre Bedeutung für die Repertorisation

Wie leicht ersichtlich ist, wir der Umfang der Repertorisation nicht unerheblich von der Anzahl der Symptome bestimmt. Unnötige und fruchtlose Arbeit wollen wir uns nicht machen, die Repertorisation wird mit zunehmendem Umfang immer unübersichtlicher und ihre Aussagekraft in der Regel nicht größer.  Nicht die Anzahl der Symptome sondern ihre Qualität ist entscheidend! Gesucht wird das Charakteristische, das Individuelle, das Besondere der Krankheit.

Die Symptomenzahl nicht ausufern lassen!

5 gute (charakteristische, ungewöhnliche) Symptome sind besser als ein Sammelsurium von 15 Symptomen, die wenig Charakteristisches der Krankheit spiegeln und immer und überall anzutreffen sind beim Kranksein. Die Repertorisation kann niemals besser sein als die Symptomenauswahl! Folgende Fragen sollte man sich auf jeden Fall beantworten: Welche Symptome gehören zur aktiven Krankkheitsschicht, welche nicht – welche Symptome kann ich u.U. zunächst zurückstellen? Ist der Hund vor ein Auto gerannt, interessiert seine Krankengeschichte bis dahin nicht und die dazu gehörigen Symptome haben in der aktuellen Repertorisation nichts verloren. Auch unsichere Vermutungen haben in der Repertorisation nichts zu suchen.

Akut oder chronisch

In der ersten Folge des Tutorials habe ich einiges zu den Wertigkeiten geschrieben und wie die Mittel bei den Symptomen vor welchem Hintergrund mit bestimmten Wertigkeiten eingetragen werden. Möchte ich angeborene miasmatische Veranlagungen und daraus resultierende Erkrankungen therapieren, kann ich nur Nosoden und Mittel gebrauchen, die bestimmte Krankheitszustände schon erfolgreich kuriert haben. In dem Fall kann ich alle Mittel mit Wertigkeit 1 (Toxizität, Vergiftung) und 2 (Prüfungssymptom) aus Kent, Synthesis, Complete guten Gewissens aus der Repertorisation streichen bzw. sie gar nicht erst aufnehmen. Da besteht nämlich grundsätzlich keine Ähnlichkeit, da akut und chronisch sich per se nicht entsprechen. Chronische Krankheitszustände bzw. deren Symptome zeigen sich nicht in Prüfungen. Die in der Prüfung ausgelöste Arzneikrankheit ist eine akute Krankheit.

Die Sache mit den Filter

Jede Rubrik, die wir auswählen für die Repertorisation, fungiert letztlich als Filter. Filter sollen uns helfen, etwas abzufangen, etwas auszusortieren – so auch beim Repertorisieren. Also müssen wir eine sorgfältige Wahl treffen. Wie das mit Filtern so ist, u.U. sortieren sie auch etwas aus, das man noch gebrauchen könnte. Die Filter sollten also nicht zu engmaschig gewählt werden. Das kann man über die Rubrikengröße bzw. die Hierarchie der Unterrubriken (Kent u.a.) steuern. Darauf gehe ich weiter unten noch ein.

Zusätzlich zu den Rubriken, die die Symptome des Patienten spiegeln, kann ich zusätzliche Filter einsetzen, die keine Prüfungssymptome wiedergeben:

  • die Wertigkeiten: ich kann z.B. Mittel mit Wertigkeit 1 und 2 auslassen und nur die Wertigkeiten 2 und 3 berücksichtigen
  • eine Causa/Veranlassung: bin ich mir des aktuellen Auslösers sicher, kann ich mich auf Mittel beschränken, die diese Causa bisher erfolgreich abdecken konnten.
  • ein Miasma, eine bestimmte Pathologie:  will ich eine miasmatische (chronische) Behandlung vornehmen, suche ich nach mindestens 3-wertigen Mitteln, die Lokalisation und Pathologie abdecken und differenziere weiter mit den Modalitäten.

An dieser Stelle die Anmerkung, dass die Wertigkeit NICHTS über die Intensität eines Symptoms aussagt sondern nur etwas über die Häufigkeit des Auftretens bzw. die Häufigkeit erfolgreichen therapeutischen Einsatzes. Über die Intensität eines Symptoms informiert ausschließlich die Arzneilehre bzw. der Rubrikentext.

Rubrikengröße und Repertorisationsergebnis

Repertorisiert man nur mit großen Rubriken, ist die Schnittmenge der möglichen Mittel groß und die weitere Differenzierung mittels der MM macht mehr Mühe. Repertorisiert man nur mit kleinen und kleinsten (Unter)Rubriken, hat man u.U. gar keine Schnittmenge.

Die Rubriken werden umso kleiner, je detaillierter ein Symptom ist. Das betrifft den Kent und die Repertorien, die auf dem Kent aufgebaut sind. Hier finden wir ganz viele ganz spezielle Symptome bzw. Rubriken, in denen dann auch nur wenige Mittel (oder sogar nur eins) aufgeführt sind. Jede kleine und kleinste Unterrubrik, die wir wählen, stellt den Filter enger. Die detaillierten und sehr speziellen Symptome zeigen sich selten und werden demzufolge auch selten geheilt. Möglicherweise konnten sich einfach noch nicht so viele Mittel mit diesem Symptom zeigen. Solch ein Detaillsymptom kann als letzter Schritt der Repertorisation eine Mittelwahl bestätigen, sollte aber nicht dazu führen, alle anderen Mittel auszublenden.  Bei der Repertorisation mit Detaillsymptomen folgen wir der Hierarchie der Rubriken des Repertoriums vom Allgemeineren zum Spezielleren.

Hier ein beliebiges Beispiel: Die Hauptrubrik Magen – Durst enthält 409 Mittel, die 1. Unterrubrik 73 Mittel und die Rubrik mit dem weiter differenzierten Symptom nur noch 8 Mittel.

magen-durst

Bleibt nach der Repertorisation ein Mittel übrig, das rundherum auf unseren Patienten paßt – wunderbar. Was aber tun, wenn man mit diesem Mittel nicht zufrieden ist oder sogar gar keines übrig bleibt? Möchte man die Ausbeute an möglichen Mittel vergrößern, hilft es, statt kleiner und kleinster Rubriken die übergeordneten größeren Rubriken in die Repertorisation aufzunehmen, in diesem Fall also statt der 3. Rubrik die 2. oder sogar die 1. Rubrik. Die Zahl der möglichen Mittel wird damit automatisch wieder größer – und damit auch die Qual der Wahl anhand des MM-Studiums. Der Logik folgend sollten alle Mittel einer Unterrubrik in der jeweils übergeordneten Rubriken enthalten sein. Wenn das im Repertorium (noch) nicht der Fall ist, kann man die Rubriken zusammenlegen.

Hier noch ein Beispiel:

Rubriken Zysten

Das betroffene Pferd mag bei der rektalen Untersuchung mit Schmerzen reagieren und bei der Rosse Koliksymptome zeigen, die kleine Schmerzrubrik „paßt“ also. Aber da ist nur ein einziges Mittel drin, syc. – eine Darmnosode.  Sinnvollerweise repertorisiert man zunächst mit der übergeordneten Rubrik und möglicherweise paßt ein ganz anderes Mittel dieser Rubrik hervorragend für die Patientin. Bei der Darmnososde kommt noch hinzu, dass sie kaum geprüft ist, also ein kleines Mittel ist.

Ein detailliertes Symptom kann das gelungene I-Tüpfelchen der Reperorisation sein, den letzten Ausschlag für die Mittelwahl geben, sollte aber nicht der Ausgangspunkt der Repertorisation sein. Bei der Repertorisation  ist die Hierarchie der Symptome nach Kent zu berücksichtigen.

Gegenpolare Rubriken

Wer kennt das nicht: Man hat repertorisiert, liest ein Mittel in der Arzneilehre nach und stolpert darüber, dass das Mittel zwar den durch Wärme gebesserten Durchfall des Patienten abdeckt aber charakteristisch eine Verschlechterung durch Wärme zeigt. Solche anscheinenden Widersprüche finden wir gar nicht so selten. Hat ein Mittel in der Prüfung eine Wirkung auf die Verdauung gezeigt, so hat es je nach Ausgangslage des Prüfers zu Verstopfung oder Durchfall geführt. Hat ein Mittel Auswirkungen auf das Durstempfinden, so hat es in Prüfungen Durstlosigkeit und vermehrten Durst ausgelöst. Auch bei Modalitäten decken viele Mittel jeweils den Gegenpol mit ab. Es hängt immer von der Ausgangslage des Prüfers ab, wie eine bestimmte Funktion durch ein Mittel beeinflußt wird. Nur liegt der Schwerpunkt der Wirkung eines (gut geprüften) Mittels in der Gesamtheit der Prüfungen in aller Regel auf einem Pol. Die Bedeutung dieses Umstandes für die Mittelwahl hat Bönninghausen besonders herausgestellt. Gibt es nämlich Widersprüche und Abweichungen in den Umständen von Arznei und Krankheit, ist das eine absolute Gegenanzeige für die Arznei. Solch eine Gegenanzeige liegt vor, wenn der schwächere Gegenpol (1-2-wertig) eines charakteristischen Arzneisymptoms beim Patienten deutlich ausgeprägt ist.  Beispiele: Durst beim Mittel 3-wertig, Durstlosigkeit 1-wertig. Die Durstlosigkeit ist der schwächere Gegenpol des Durstes. Der Patient ist durstlos, das betreffende Mittel kommt nicht  infrage.  Möglicherweise hat das Mittel die deutlichen Besserung der Patientensymptome durch Bewegung nur 1-wertig, dafür aber 3-wertig die charakteristische Verschlechterung durch Bewegung. Auch das wäre in diesem Fall eine Gegenanzeige für die betreffende Arznei. Der Spielraum bei der Einschätzung von „deutlich ausgeprägt“ kann hier für Unschlüssigkeit sorgen. Das Symptom sollte schon auffallend sein.

Die charakteristischen Symptome der Arzneien (manchmal wird auch der Begriff Hauptanzeigen verwendet) kann man in entsprechenden Arzneilehren nachlesen. Oder man repertorisiert direkt mit dem TTB von Bönninghausen. Nicht jedes Arzneisymptom (und sei es noch so auffällig und absonderlich) ist gleichzeitig auch ein charakteristisches Symptom. Charakteristisch für ein Mittel kann ein Organbezug sein, eine Modalität, eine Empfindung, die sich durch das gesamte Arzneibild zieht.

Ich habe in der Repertorisation die Wertigkeiten der Mittel in den gegenpolaren Rubriken hinter dem senkrechten Strich nachgetragen. Unter der Voraussetzung, dass es sich um charakteristische Symptome der Arzneien handelt, sollte man sich die markierten Symptome näher anschauen und prüfen, ob  das Patientensymptom der schwächere Gegenpol eines charakteristischen Arzneisymptoms ist.  Wenn es so wäre, wäre das nach Bönninghausen das Aus für das betreffende Mittel A oder D – obwohl das Repertorisationsergebnis zunächst für beide Mittel gut ausgesehen hat, da beide alle Symptome abdecken und bei der Summe der Wertigkeiten führen.rep-mark

Das zeigt uns, das das erste Ergebnis der Repertorisation ohne weitere Prüfung wenig Aussagekraft hat.

Prüfen sollten wir alle Mittel, die beim Patienten mit Wertigkeit 1 oder 2 vermerkt sind und in der gegenpolaren Rubrik eine Wertigkeit von 3 oder 4 aufweisen.

In der nächsten Folge des Tutorials geht es weiter mit dem Polaritätsgradienten – eine weitere Möglichkeit, das Repertorisationsergebnis zu verbessern.

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